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Südkorea hat einen neuen Präsidenten: Lee Jae-myung. Der 61-Jährige kommt aus ärmsten Verhältnissen und übernimmt jetzt das mächtigste Amt des Landes. Wofür steht er? Und: Kann er das tief gespaltene Südkorea nach Monaten der Krise wieder zusammenbringen?

Südkorea hat bewegte Monate erlebt: Im Dezember rief Präsident Yoon Suk-Yeol überraschend das Kriegsrecht aus und stürzte das Land ins Chaos. Der konservativen People Power Party (PPP) fehlte die Parlamentsmehrheit, was zuvor schon zu einem politischen Stillstand geführt hatte. Yoons Schritt wirkte wie ein versuchter Staatsstreich.

Doch das Parlament wehrte sich und hob das Kriegsrecht auf. Yoon wurde suspendiert, verschanzte sich in seinem Palast, um einem Haftbefehl zu entgehen, stellte sich aber später der Justiz und kam in U-Haft. Im April erklärte das Verfassungsgericht ihn für amtsunfähig.

Die Präsidentschaftswahl sollte jetzt wieder für Stabilität sorgen. Gewonnen hat: Lee Jae-myung.

Von unten nach ganz oben

Lee Jae-myung war bisher Oppositionsführer und Kandidat der sozialliberalen Demokratischen Partei. In Südkorea gibt es zwei große politische Lager: die Konservativen, aus deren Reihen Ex-Präsident Yoon Suk-Yeol kam, und die Liberalen, für die Lee Jae-myung nun kandidierte. Bereits 2022 hatte er sich zur Wahl gestellt und damals noch knapp verloren.

"Das Verrückte an dem Typen ist sein ganzes Leben."
Jens Többen, Deutschlandfunk Nova

Lee wird Anfang der 1960er-Jahre in ein armes Südkorea geboren – als fünftes von sieben Kindern. Die Eltern arbeiten als Reinigungskräfte, und Lee muss mit nur 13 Jahren neben der Schule in einer Fabrik mithelfen, um Geld zu verdienen.

Um den Job zu bekommen, lügt er über sein Alter, bekommt nur wenig Lohn – und verletzt sich schwer: Eine Presse verkrüppelt sein Handgelenk. Die Verletzung bleibt unbehandelt. Armut, Behinderung, ein spielsüchtiger Vater – all das soll sogar zu einem Suizidversuch geführt haben.

Lee kämpft gegen das Kriegsrecht und für die Demokratie

Lee Jae-myung hat im Wahlkampf stark von seinem Auftritt in der Nacht des 3. Dezember 2024 profitiert: Als Ex-Präsident Yoon das Kriegsrecht ausrief und das Militär das Parlament umstellte, rief er in einem Livestream die Abgeordneten auf, ins Parlament zu kommen, um die Demokratie zu retten.

Später kletterte er im Livestream sogar über die Parlamentsmauer – ein starkes visuelles Symbol für seinen Einsatz.

"Als der alte Präsident das Kriegsrecht ausruft und das Militär das Parlament umstellt, schickt Lee eine Message im Livestream."
Jens Többen, Deutschlandfunk Nova

Eines seiner zentralen Wahlversprechen ist deswegen auch, die Macht des Präsidenten beim Kriegsrecht einzuschränken – als direkte Reaktion auf die Krise im Dezember. Außerdem plant er, KI in Südkorea massiv zu fördern, Einkommens- und Unternehmenssteuern zu senken und Betriebe zu unterstützen, die eine 4,5-Tage-Woche einführen.

Lee 2024 bei Messerattacke verletzt

Lee bemühte sich im Wahlkampf auch um konservative Stimmen, vor allem von Wählenden, die der Kriegsrecht-Skandal empört hat. Anders als noch 2022, als er in seiner Partei ein wenig als Außenseiter galt, trat er außenpolitisch versöhnlicher auf – etwa gegenüber Japan oder den USA.

In den Umfragen vor der Wahl lag Lee bereits deutlich vorn und trat deshalb selbstbewusst auf – aber auch hinter Panzerglas und mit schusssicherer Weste bei seinen Reden. Am 2. Januar 2024 hatte ein Mann den Politiker bei einer öffentlichen Veranstaltung in Busan mit einem Messer am Hals verletzt. Der Täter verfasste ein Manifest, um Lees Präsidentschaft um jeden Preis zu verhindern.

Offene Verfahren gegen den Präsidenten

Trotz seiner Beliebtheit hat Lee viele Kritiker – aktuell laufen fünf Verfahren gegen ihn. Es geht unter anderem um geheime Überweisungen nach Nordkorea, Korruption bei Bauprojekten und eine mutmaßlich bewusste Falschaussage im Wahlkampf. Urteile stehen noch aus, Lee spricht von politischer Verfolgung.

Dass Lee trotz der Vorwürfe so gute Chancen hatte, lag vor allem am Chaos rund um das ausgerufene Kriegsrecht durch den alten Präsidenten. Lee konnte sich als Mann der Ordnung inszenieren, sagt Jens Többen. Sein zentrales Wahlversprechen: Stabilität herstellen – diesmal mit einer Parlamentsmehrheit im Rücken.

Südkorea – Überalterung und wirtschafliche Unsicherheit

Südkorea ist eine moderne Demokratie in Ostasien, eine der größten Volkswirtschaften weltweit und führend in der Chip-Industrie. Aufgrund seiner geografischen Lage spielt es eine doppelte Rolle: Es ist enger Verbündeter des Westens, aber auch Vermittler zwischen Großmächten wie China, Russland und den USA.

Hannes Mosler ist Professor für Politik und Gesellschaft Südkoreas an der Universität Duisburg-Essen, am Institut für Ostasienstudien und am Institut für Politikwissenschaft. Der neue Präsident Lee stehe vor Herausforderungen, die viele Industrieländern kennen: Es fehlt vor allem massiv an bezahlbarem Wohnraum – vor allem in der Metropolregion Seoul, wo über die Hälfte der Bevölkerung lebt.

"Die Menschen fordern vom neuen Präsidenten, um die Wirtschaft zu kämpfen, um Arbeitsplätze und bezahlbaren Wohnraum."
Hannes Mosler, Ostasienexperte

Die Inflation belastet die Bevölkerung zusätzlich. Besonders junge Menschen finden kaum Jobs nach dem Abschluss, gleichzeitig gilt das Rentensystem für ältere Menschen als unzureichend, so Hannes Mosler. Dadurch wachsen die Einkommensunterschiede – die soziale Schere geht weiter auseinander, was zu Frust in der Gesellschaft führt.

Junge Südkoreaner heiraten und bekommen keine Kinder mehr – aus wirtschaftlicher Unsicherheit. Die Folge: eine schrumpfende, alternde Gesellschaft, die das wirtschaftliche Wachstum bremst, so der Ostasienexperte. Der neue Präsident müsse nun zentrale Probleme wie Jobs, Wohnraum und soziale Gerechtigkeit anpacken, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Lee Jae-myung will ein Präsident für alle sein

Lee hat angekündigt, ein "Präsident für alle" zu sein – und das nimmt man ihm auch ab, so Hannes Moser. Doch ob das Land wieder zusammenfindet, hänge weniger an ihm, sondern vielmehr daran, wie die rechtskonservative PPP mit der Niederlage umgeht. Dort habe es zuletzt eine starke Radikalisierung und verfassungsfeindliche Rhetorik gegeben.

Teile der rechten Szene in Südkorea verbreiten Verschwörungen über Wahlmanipulation und waren teils sogar gewalttätig – etwa beim Sturm auf ein Gerichtsgebäude. Das gab es so noch nie, so der Ostasienexperte. Die große Herausforderung für Lee werde sein, demokratische Stabilität zu sichern – trotz möglicher Anfeindungen.

Demokratisches System zeigt sich resilient

Trotz der Krise hat die Demokratie in Südkorea standgehalten – wenn auch mit kleinen Einschränkungen, so Hannes Moser. Der Wahlprozess verlief in geordneten Bahnen, was für die Stabilität des Systems spreche. Entscheidend ist nun, ob das Land die gesellschaftliche Spaltung überwinden und dauerhaft zur politischen Ruhe zurückfinden kann.

Ein Urteil gegen Lee steht noch aus, wurde aber bis nach der Wahl aufgeschoben. Hannes Mosler glaubt nicht, dass seine Präsidentschaft daran scheitern wird. Ein Angriffspunkt für die Rechtskonservativen sei es aber auf jeden Fall. Ein Urteil könnte Lee später belasten, doch aktuell stehe es politischen Fortschritten nicht im Weg.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Früher arm, jetzt Präsident
Lee Jae-myung: Wer ist Südkoreas neuer Staatschef?
vom 03. Juni 2025
Moderatoin: 
Rahel Klein
Gesprächspartner: 
Jens Többen, Deutschlandfunk Nova
Gesprächspartner: 
Hannes Mosler, Ostasienexperte