Zwei Frauen, Sommer, Zuhause, Besessenheit und Geheimnis – so fasst die niederländische Autorin Yael van der Wouden ihren Debütroman zusammen. 2024 erschienen, schaffte es "In ihrem Haus" direkt auf die Shortlist für den Booker Prize, den wichtigsten britischen Literaturpreis.
Sie war sich so sicher gewesen. Der Löffel, der Kerzenständer, der Fingerhut. Und warum hatte Eva den Sekretär im Zimmer ihrer Mutter abgeschlossen? Nicht das Hausmädchen Neelke hatte all die verschwundenen Dinge gestohlen, sondern Eva, der ungebetene Gast in ihrem Haus!
Eva ist laut, direkt und neugierig. Alles will sie wissen. Alles muss sie kommentieren. Und ständig fasst sie Dinge an, die ihr nicht gehören. Isabel kann Eva nicht leiden. Und gleichzeitig versetzt sie all das in helle Aufregung …
Später am Abend, die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen, da sitzt Isabel vor dem Spiegel in ihrem Zimmer und sucht nach dem, was Eva gesehen hat, als sie sich gegenüberstanden – zwischen ihnen die geöffnete Faust, die verrutschte Strähne, die vorsichtige Berührung und etwas, was Isabel nicht benennen kann. Und da ist er wieder, der eine Gedanke: Sie weiß Bescheid.
Debütroman stand direkt auf der Booker-Prize-Shortlist 2024
Wer weiß hier was? Diese Frage steht im Zentrum von Yael van der Woudens Romandebüt "In ihrem Haus". Diese Frage wächst mit jeder Seite, wird drängender und löst ein Verlangen aus, das sich fast manisch anfühlen kann. Denn mit jeder gelesenen Seite wächst auch die Gewissheit, dass die Erlösung, also die Antwort auf diese Frage, gewaltig sein wird und schmerzvoll.
"Two women, summer, homes, obsession, and mystery – mit diesen sechs Wörtern beschreibt die in den Niederlanden lebende Schriftstellerin Yael van der Wouden selbst ihren Debütroman."
Der Roman erzählt von Isabel. Es ist das Jahr 1961. Isabel ist um die dreißig und lebt allein in einem großen Haus mit vielen Zimmern und einem Garten.
Isabel liebt das Haus. Und sie liebt es, allein darin zu sein. Überhaupt liebt sie es, allein zu sein. Die Gegenwart von Menschen erträgt sie nur schwer. Das Hausmädchen Neelke kommt zweimal in der Woche. Und ein-, zweimal im Jahr geht Isabel mit ihren Brüdern Hendrik und Louis etwas essen. Normalerweise zu dritt.
Aber bei einem dieser Essen hat Louis seine neue Freundin dabei: Eva. Isabel findet alles an ihr schrecklich. Ihre hohe Stimme, ihr albernes Kichern, ihre billige Garderobe. Isabel hat vor, sie bald wieder zu vergessen, weil Louis ständig eine neue Freundin hat, aber dann passiert etwas.
Isabel und Eva sind für wenige Minuten allein auf der Restauranttoilette und unterhalten sich. Verschwunden sind das hohe Stimmchen, die Unsicherheit und die Kicherei.
Zwei Frauen, ein Sommer und ein großes, geheimnisvolles Haus
Kurze Zeit später, es ist Anfang Juni, bezieht Eva ein Zimmer in Isabels Haus. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber Isabel hat keine Wahl. Louis wird für einen Monat ins Ausland gehen – und Eva wohnt bereits bei ihm, in einer feuchten Einraumwohnung, nicht schön.
Und weil Eva nach dem Essen so sehr von Isabel geschwärmt habe, sei ihm die Idee mit dem Haus gekommen, ihrem Haus, das eigentlich sein Haus ist. Louis wird es vom Onkel erben, sobald der Onkel tot ist oder Louis heiratet. Bis dahin darf Isabel in dem Haus wohnen.
Mit Evas Einzug gerät Isabels Leben aus dem Rhythmus. Ständig ist da wer, der Dinge in Unordnung bringt und: der Dinge stiehlt. Isabel fällt es sofort auf, wenn etwas fehlt. Sie führt Buch. Denn die Dinge in diesem Haus erinnern sie an ihre Mutter – das Geschirr, die Möbel, die Hasen. Ja, überall sind Hasen abgebildet. Ihre Mutter mochte Hasen.
Warum, weiß Isabel nicht. Die Hasen waren einfach schon immer da. Seit Eva da ist, keimt ein diffuses Gemisch aus Scham, Schuld und Begehren in Isabel. Und da ist die Gewissheit, dass Eva mehr will als nur ein Zimmer.
Das Buch: "In ihrem Haus" (Originaltitel: "The Safekeep" / 2024 / von Yael van der Wouden / aus dem Englischen von Stefanie Ochel / Gutkind Verlag, 315 Seiten / Hörbuch gelesen von Ute Piasetzki, ca. 9,5 Stunden