Die Bundesregierung warnt: Städte und Gemeinden seien am Limit. Um sie zu entlasten, soll die Migration weiter begrenzt werden. Doch wie sieht die Lage in den Kommunen gerade überhaupt aus?
Kaum eine Woche vergeht ohne neue Maßnahmen in der Migrationspolitik. Die Bundesregierung will Migration begrenzen – so steht es im Koalitionsvertrag. Der Familiennachzug ist für bestimmte Gruppen ausgesetzt, sogenannte "illegale Migranten" sollen an der Grenze zurückgewiesen werden.
Neu ist der Vorstoß, mehr Länder als sichere Herkunftsstaaten einzustufen – zum Beispiel Algerien, Marokko, Tunesien oder Indien. Ziel ist, Asylverfahren zu beschleunigen und Abschiebungen zu erleichtern. Begründet wird das mit der Entlastung der Kommunen – trotz sinkender Asylantragszahlen.
Migrationsforscher: "Hyperaktive Gesetzgebung"
Hannes Schammann, Professor für Migrationspolitik an der Uni Hildesheim, beschreibt die aktuelle Entwicklung als "hyperaktive Gesetzgebung." Ständig gebe es neue Gesetze – noch bevor klar ist, ob die alten überhaupt wirken.
"Wir haben immer wieder ein neues Gesetz in der Migrationspolitik, bevor wir überhaupt wissen, ob das alte wirkt."
Die Maßnahmen würden oft ohne Rücksprache mit denen beschlossen, die sie umsetzen müssen – etwa den Kommunen. Schammann und sein Team forschen seit über zehn Jahren dazu, wie bundespolitische Entscheidungen in der Praxis ankommen.
Lage hat sich entspannt
Die Migrationsforschenden haben sich in der Vergangenheit mehrfach angeschaut, wie es den Kommunen in Deutschland geht – wie überlastet oder eben auch nicht überlastet sie sind, was zum Beispiel die Unterbringung von Geflüchteten angeht.
Wenn die Kommunen eine Überforderung melden, müsse man das erst mal ernst nehmen. Bei der Unterbringung habe sich die Lage zuletzt aber eher entspannt. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2024 sagten fast drei Viertel der Kommunen, es sei herausfordernd, aber machbar – nur knapp 20 Prozent fühlten sich wirklich überfordert, so der Migrationsexperte. Das ist allerdings immerhin ein Fünftel.
"Wer sich taglich um die Unterbringung kümmert, war ein bisschen optimistischer als Landräte oder Bürgermeister."
Interessant sei, welche Personen innerhalb einer Kommune wie auf die Lage blicken: Die, die täglich mit der Unterbringung zu tun haben, waren in Befragungen meist etwas optimistischer als etwa Landräte oder Bürgermeisterinnen. Diese schätzen die Lage oft pessimistischer ein – auch, weil sie in vielen Bereichen unter Druck stehen, so Hannes Schammann.
Nur wenn sich die Situation als wirklich sehr schwierig herausstellt, könnten sie auch mehr Geld vom Bund fordern, der rechtlich sonst nicht zahlen müsste.
Behörden sind hoffnungslos unterdigitalisiert
Probleme zeigen sich nach der Erstunterbringung: Wenn Geflüchtete in den regulären Wohnungsmarkt wechseln sollen, stoßen sie auf massive Hürden, so der Experte. Das liege nicht primär an der Migration, sondern an einer angespannten Wohnungspolitik – mit hohen Mieten und zu wenig Wohnraum, nicht nur in Großstädten, sondern zunehmend auch auf dem Land.
Auch die Ausländerbehörden seien massiv überlastet: Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund hat sich in zehn Jahren verdoppelt (nicht nur wegen der Geflüchteten), das Personal jedoch nicht, so Hannes Schammann. Viele Behörden sind unterdigitalisiert und überfordert mit Gesetzesfluten wie dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das allein 300 Seiten Anwendungshinweise umfasst.
Fakt ist: In der Praxis fehlt oft die Zeit, solche Vorgaben umzusetzen.
Kommunen: Es braucht Geld und ein klares Bekenntnis
Michael Salomo ist Bürgermeister von Heidenheim und Vorsitzender des Netzwerks junge Bürgermeister. Die Situation sei momentan sehr stabil – auch dank vieler Ehrenamtlicher und Vereine, welche die rund 2.000 Geflüchteten in der 50.000-Einwohner-Stadt unterstützen. Integration gelingt gut, wenn genug Zeit bleibt, sagt Michael Salomo. Schwieriger werde es, wenn kurzfristig viele Menschen auf einmal ankommen – dann fehlen Wohnungen, Kita-Plätze und Infrastruktur.
Ein zentrales Problem sieht der Oberbürgermeister im Betreuungsschlüssel: Es fehlen genügend Mittel vom Land, um Geflüchtete angemessen zu begleiten, sagt er. Es gehe nicht nur um Unterbringung – viele bräuchten Hilfe bei Behördengängen, beim Zugang zu Bildung oder Sprachkursen. Doch bei zu wenig Personal bleibe für echte Unterstützung Einzelner kaum Zeit.
"Das Land stellt zu wenig Mittel zur Verfügung, um die geflüchteten Menschen zu betreuen."
Salomo betont: Es brauche nicht nur Geld, sondern ein klares Bekenntnis zur Konnexität, wie sie im Grundgesetz (Art. 104a) verankert ist. Heißt: Wer bestellt, bezahlt. Wenn der Bund zum Beispiel einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz schafft, müsse er auch die daraus entstehenden Kosten für die Kommunen tragen.
Viele junge Bürgermeisterinnen und Bürgermeister erleben die Lage aktuell entspannter als in den Hochphasen 2016 oder nach Kriegsbeginn in der Ukraine, so Salomo. Die große Herausforderung liege in der kurzfristigen Organisation: Wohnraum, Infrastruktur, Integration. Ist das geschafft, stabilisiert sich vieles. Unverständlich sei dann oft, wenn gut integrierte Menschen trotz Ausbildung oder Sprachkenntnissen abgeschoben werden sollen.
Migrations-Management wird besser – das Gefühl, es zu schaffen, geringer
Migrationsforscher Hannes Schammann sieht klare Fortschritte: Seit 2015 habe es einen starken Professionalisierungsschub gegeben. Es entstanden Integrationskonzepte, feste Strukturen, Zusammenarbeit zwischen Behörden und Zivilgesellschaft – all das habe geholfen, auf neue Flüchtlingsbewegungen wie aus der Ukraine besser zu reagieren.
"Verrückt ist, wir werden immer besser beim Migrations-Management – gleichzeitig wird das Gefühl, es zu schaffen, immer geringer."
Trotz dieser Fortschritte im Migrationsmanagement stellt Schammann fest: Das Gefühl in der Gesellschaft, Migration bewältigen zu können, wird paradoxerweise immer schwächer. Es gibt also eine Entkopplung zwischen realem Fortschritt und öffentlicher Wahrnehmung – obwohl man objektiv besser aufgestellt ist.
Migrationspolitik als Bühne der Rechtspopulisten
Die Entkopplung erklärt Schammann so: 2015 war die Stimmung in Deutschland noch optimistisch – wirtschaftliche Stärke, Fußball-Weltmeister, keine großen Krisen. Inzwischen erleben wir eine Polykrise: Klimawandel, Pandemie, Krieg in Europa. Migration wird da zur Scheinlösung – denn sie scheint einfacher kontrollierbar zu sein als die anderen Probleme.
Begleitet werde das Ganze von einer wachsenden Skepsis gegenüber Demokratie, Parteien, Medien und Wissenschaft. Diese Skepsis zeige sich auch in den Erfolgen rechtspopulistischer Parteien, die sich gezielt die Migrationspolitik als Bühne suchten – ein Bereich, in dem der Staat zwangsläufig an Grenzen stoße. Wer absolute Kontrolle verspreche, müsse scheitern.
Kontrollwahn führt zu Kontrollverlust
Schammann zufolge könnten die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung, wie etwa die Aussetzung des Familiennachzugs oder Zurückweisungen, kurzfristig kaum zur Entlastung der Kommunen beitragen. Vielmehr könne das Gegenteil eintreten.
In dem Versuch, Kontrolle zu schaffen, werden gerade die geordneten und stabilisierenden Wege wie etwa die Familienzusammenführung gekappt, sagt er. Diese könnten Integration fördern. Statt Ordnung entstünde vielmehr zusätzlicher Kontrollverlust.
Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de